top of page

Umgang mit Stress - Wenn Tech Leaders anders funktionieren

Stress gehört für viele Menschen in verantwortungsvollen Rollen inzwischen „einfach dazu“, ob Product Manager, Product Owner, Team Lead oder Director.


Für hochsensible und neuroatypische Leader (z.B. mit AD(H)S, Autismus, Hochbegabung oder Hochsensibilität) hat dieser Stress jedoch oft eine andere Qualität oder Intensität.


Meine Kundschaft erlebt in solchen Fällen oft Selbstzweifeln und Selbstschuldgefühle. Dabei sind die Ursachen komplex und führen u.a. auf zwei Systeme zurück, die aufeinander treffen: das hochsensible Nervensystem und dein Arbeitsumfeld, was selten die neurologische Vielfalt unterstützt.


In diesem Artikel schauen wir uns an,

  • wie das System, in dem du arbeitest, dein Stresserleben beeinflusst,

  • was in einem hochsensiblen / neuroatypischen Nervensystem wirklich passiert,

  • was dir helfen kann, auch wenn es keine „one fits all“ Lösung gibt – sondern einen Weg, der zu dir und deiner Funktionsweise passt.


Modern Office Scene - Wix Media
Modern Office Scene - Wix Media


Das System: Warum Tech-Leader*innen so oft an ihre Grenzen kommen


Viele meiner Klient*innen sind Product Manager*innen, Team Leader*innen oder Führungskräfte in digital geprägten Unternehmen oder Abteilungen. Das Umfeld wirkt auf den ersten Blick wie ein Paradies für hochsensible und neuroatypische Menschen, die die Schnelllebigkeit und hohe Innovation schätzen, gerne komplexe Probleme lösen und gerne Raum für Kreativität und Querdenken haben. Für neugierige, kreative, tief denkende Köpfe fühlt sich das zunächst wie ein „Match made in heaven“ an. Sie bringen hohe Motivation und Verantwortungsbewusstsein mit, tauchen tief in Themen ein und halten viele Fäden gleichzeitig.


Und doch:
 am Ende des Tages – oder der Woche – steht häufig Erschöpfung. Nicht nur, weil Mitarbeitende ihr Bestens geben sondern auch, weil die Rahmenbedingungen in Tech und modernen Organisationen sehr fordernd sind. Dazu gehören u.a.:


  • ständig wachsende Anforderungen,

  • hochkomplexe Zusammenhänge,

  • Drang zur Innovation,

  • mehrere Projekte parallel,

  • sehr kurzfristige Deadlines,

  • dauernde Erreichbarkeit und Notification-Overload.


In so einem System ist Stress kein Ausnahmezustand mehr, sondern Grundrauschen.
 Unser Nervensystem wurde jedoch nicht für permanente Alarmbereitschaft gebaut. Das erklärt zum Teil die steigende Zahl an Burnouts* in der Branche.


Unser Nervensystem und die Besonderheit bei Hochsensibilität und Neuroatypie


Unser Gehirn unterscheidet nicht sauber zwischen einem kritischen Slack-Channel, einer drohenden Deadline, einem Konflikt im Team oder einer echten Lebensgefahr.


Auf physiologischer Ebene registriert es zunächst nur: Bedrohung. Dann springt – vereinfacht gesagt – der Überlebensmodus an: Fight, Flight oder später auch Freeze.


Bei hochsensiblen und neuroatypischen Menschen geschieht das oft früher und intensiver. Sie sind damit nicht „zu empfindlich“, sondern verfügen über feinfühligere Sensoren und einer anderen Art der Informationsverarbeitung. Das Nervensystem wirkt wie ein fein eingestelltes Warnsystem. Dabei werden sowohl das Ausgesprochene als auch das Unterschwellige wahrgenommen – in der Organisation, im Team und bei Kolleg*innen, und dieses geschieht, während das Gehirn z.T. noch technische Probleme löst, die nächste Präsentation für weitere Investmentsrunden vorbereitet und noch mehr.


Die Folgen für das hochsensible / neuroatypische Gehirn


Die Grundeinstellungen unseres Gehirn ermöglichen die Verarbeitung mehreren Sachen parallel. Obwohl wir diese Grundeinstellungen teilen, funkioniert jedes Gehirn auf einer einzigartigen Art und Weise. Das haben wir z.B. unsere Genen und eigenen Erfahrungen zu verdanken.

Bei hochsensiblen und neurodivergenten Menschen beobachte ich die drei folgende Themen häufig in Coachings:


  1. Mehr Reize, weniger Filter

    Geräusche im Großraumbüro, Mimik der Kolleg*innen, Slack-Nachrichten, Zwischenfragen im Meeting, Stimmung im Team, Subtext in E-Mails – alles kommt an.

    Bevor du überhaupt mit einer Aufgabe begonnen hast, hat dein System schon eine Menge Energie verbraucht, nur um das alles zu sortieren:
 „Was davon ist wichtig? Wo sind mögliche Schwachstellen? Was muss ich im Blick behalten? Wie kann ich fortfahren?“

  2. Emotionale Tiefe statt „egal“-Einstellung

    Viele hochsensible und neuroatypische Menschen fühlen sich emotional mit dem Team, dem Produkt, dem Projekt oder dem Unternehmen verbunden. Die Tendenz zum Perfektionismus verstärkt diese Einstllung. Umso schwieriger fällt es, z.B. Konflikte, Unklarheiten oder Ungerechtigkeit auszublenden. Das bedeutet:

    - der Körper geht in Anspannung,

    - die Gedanken kreisen lange nach einem Meeting weiter,

    - scheinbar kleine Situationen können innerlich groß wirken.

    Das stellt eine kohärente Reaktion diesen Gehirns dar, das viel wahrnimmt und ernst nimmt.

  3. Exekutive Funktionen im Dauereinsatz

    Planen, priorisieren, Entscheidungen treffen, Kontextwechsel, viele Meetings und wenige Pausen – das ist Alltag im Management, in der Software-Entwicklung und im Design. Für viele neuroatypische Gehirne sind genau diese exekutiven Funktionen einerseits eine Stärke (hohe Denkgeschwindigkeit, Verknüpfungsfähigkeit, Kreativität), andererseits ein Bereich, der schnell in Überlastung kippen kann. Wenn diese Steuerzentrale müde wird, sieht das von außen manchmal aus wie:

    - Prokrastination,

    - sprunghaftes Arbeiten,

    - Ausfälle (Krankschreibungen),

    - misslungene Kommunikation, - Nervosität.

    In Wahrheit ist es oft Erschöpfung der Steuerzentrale – nicht mangelnder Wille oder mangelndes Können.


Warum klassische Stress-Tipps oft nicht reichen


An dieser Stelle kommen gern gut gemeinte Ratschläge. Für viele hochsensible und neuroatypische Menschen fühlt sich das wie ein kleiner Stich an – wir tun doch unser Bestes und es funktioniert nicht.


Die neurologische Perspektive sagt etwas anderes: dein System arbeitet die ganze Zeit auf hoher Leistung. 
Die Lösung ist selten „noch mehr Disziplin“ oder „noch mehr Optimierung“.


Oft braucht es:

  • ein anderes Verständnis der eigenen Funktionsweise, um passenden Strategien zur Stressreduzierung zu finden,

  • einen Rahmen, der neurologische Vielfalt unterstützt – eine sog. neurodiversitätsfreundliche Kultur

  • Strategien, die Überlastung früh abfangen, bevor sie chronisch wird.


Drei kleine Ansätze können ein Anfang sein:

  1. Deine Auslöser identifizieren und 1 oder 2 Reize bewusst streichen: "nicht stören-Modus", um weniger Notifications zu bekommen, ein Meeting absagen, im Home Office bleiben, ...

  2. Mikro-Pausen nach Gefühl, nicht nach Uhr: kurz aufstehen, atmen, Blick aus dem Fenster – immer dann, wenn dein System „zu viel“ meldet. Kleinigkeit wie einen Tee oder ein Wasser trinken und dabei sich auf die Temperatur zu konzentrieren hilft uns, zurück zum Körper zu kommen und unser Nervensystem zu beruhigen.

  3. Innere Sprache anpassen: Sätze wie „Ich bin zu empfindlich“ durch „Mein Nervensystem ist gerade überlastet“ ersetzen – das nimmt Schuld raus und schafft Handlungsspielraum.



Es gibt keine One-size-fits-all-Lösung – und das ist eine gute Nachricht


Es gibt nicht die eine Methode, die für alle funktioniert sondern es gibt:

  • DEIN Nervensystem

  • DEINE Geschichte

  • DEINE Rolle im System

  • DEIN Tempo und DEINE Werte

  • DAS System, in dem DU dich befindest.


Für die eine Person ist der größte Hebel, Reizreduktion in den Arbeitsalltag zu bringen.
 Für die andere, klare Grenzen in der Handlung und in der Kommunikation zu etablieren.
 Für wieder andere, ihre Sensibilität nicht mehr als Fehler, sondern als Ressource zu sehen – und das Umfeld entsprechend zu gestalten.


Der erste Schritt ist oft nicht, mehr zu tun, sondern zu verstehen, was in dir passiert, wenn du gestresst bist.


Du bist einzigartig und das ist gut so.



*Burn-out: Zustand körperlicher und emotionaler Erschöpfung, der aus langfristigem Stress resultiert und sich in einer Mischung aus Depressionen und Angstzuständen äußert.

 
 
 
bottom of page